Machen Unterschiede eine Beziehung attraktiv und lebendig? Oder ziehen sich eher Menschen an, die ähnlich ticken? Was tun, wenn wir einander in unseren Bedürfnissen nicht sehen können, weil wir so unterschiedlich sind? Und - gibt es ‚falsche‘ Bedürfnisse?
Es ist ein Sonntag im Mai. Am Straßenrand, irgendwo in Frankreich. Ich bin unterwegs mit Pauline, die ich seit Ewigkeiten kenne, mit der ich schon einige eher kurze Motorrad-Touren unternommen habe. Am Rande erwähnt – nein, ich habe nichts mit Pauline. Wir sind einfach beste Freunde. Was allerdings allemal reicht, um heftige Beziehungsmuster zu aktivieren. Was ist passiert?
Diesmal sind zwei Wochen Motorradtour nach Sizilien geplant. Das Wetter war bisher schlecht. Richtig schlecht. Dauerregen und ein ekliger, kalter Wind. Pauline und ich sind seit zwei Tagen unterwegs. Am Vorabend saßen wir in der Bar 'La Belle‘ in einem kleinen Dorf irgendwo zwischen Lyon und Grenoble. Beim Blick auf Regenradar und Karte wurde uns beiden klar, dass die ursprünglich geplante Tour, weit in die französischen Alpen hinein, nicht machbar sein wird. Am heutigen Morgen allerdings riss der Himmel auf, gestärkt von Croissant und Milchkaffee fuhren wir weiter, begleitet von Sonnengeglitzer auf nassem Asphalt. Wie schön, wieder auf der Straße zu sein – es war ein Gefühl von Freiheit und Abenteuer.
Gerade machen wir eine Pause, sitzen nebeneinander auf einer Mauer am Bürgersteig, genießen den Ausblick und die Sonne. Angeregt vom unerwartet schönen Wetter sage ich: „Pauline, wir sollten mal gucken, ob wir die Tour in die Berge nicht doch machen!“ Pauline reagiert frostig und sehr prompt: „Nein! Das machen wir nicht! Das hatten wir doch gestern gemeinsam so entschieden.“
Ihr Ton gefällt mir nicht. Das, was sie sagt, gefällt mir auch nicht. Ich bin verstimmt. Gilt hier nur ihre Meinung – spiele ich keine Rolle? „Sei doch nicht so starrköpfig“, sage ich, „man wird einen Plan doch auch mal ändern dürfen.“ Pauline bleibt hart: „Wir hatten gestern lang und breit darüber gesprochen und waren uns einig. Ich finde es wirklich ungerecht von dir, dass du das alles wieder neu durchkauen willst und mir dann auch noch Vorwürfe machst. Ich muss mich bei so einer Tour auf unsere Absprachen verlassen können, sonst funktioniert das für mich nicht.“
Die Stimmung ist mies. So sitzen wir da am Straßenrand und teilen anscheinend die gleiche, ärgerliche Stimmung: Wir fühlen uns nicht gesehen! Meine Ideen werden nicht berücksichtigt. Meine Abenteuerlust wird abgewürgt – ich empfinde Enge. Pauline fühlt sich im Stich gelassen, sagt sie. Unsere Absprachen gelten anscheinend nicht zuverlässig – das vermittelt ihr den Eindruck, dass ihre Bedürfnisse nicht wichtig sind, schon längst vergessen, keine Beachtung wert. Und ganz besonders: Man kann sich auf Michael nicht verlassen, denkt sie.
Eigentlich spannend – wir teilen das gleiche Grundgefühl und sind doch in unseren Polaritäten tief getrennt durch eine Schlucht von Frust und Ärger. Das ist eine typische Situation, die die meisten von uns aus nahen Beziehungen, aus kollegialen Konflikten und natürlich aus unseren Partnerschaften kennen: Unterschiedliche Wünsche und Bedürfnisse treffen aufeinander und wollen gesehen und wahrgenommen werden – hier ist es der Wunsch nach Verlässlichkeit, der mit (m)einem Freiheitsbedürfnis kollidiert.
Was hilft in so einem Moment? Schwamm drüber und denken, „Die soll sich mal wieder einkriegen und mehr Flexibilität zeigen!“ oder „Der sollte mal an seiner Zuverlässigkeit arbeiten.“? Einfach die Motorräder anlassen und weiterfahren? Hm, ja. Kann man machen. Nach meiner Erfahrung kommt dann ein ähnlicher Konflikt im neuen Outfit sehr bald wieder um die Ecke. Gut - was dann?
„Wollen wir mal darüber sprechen?“ Pauline schaut mich an und ich merke, dass ihr dieser Satz nicht leicht fällt. Der erste Schritt über den Graben ist gemacht – Respekt! Und wir können im Gespräch feststellen, wie unterschiedlich wir ticken.
Im Erkennen unserer Polaritäten und unserer unterschiedlichen Bedürfnisse können Pauline und ich wieder Vertrauen aufbauen. Was uns sehr hilft, ist die Erkenntnis, dass es uns beiden Mühe macht, vom anderen in unserem Wesen und unseren Bedürfnissen übersehen zu werden. Im Gespräch entsteht eine neue Verbundenheit. Gemeinsam entwickeln wir einen neuen und für uns beide stimmigen Tourenplan. Pauline: „Schön, dass wir diese kriselige Situation so gut überstanden haben!“
„Na, dann los“, sagt sie, „lass uns die Pferde satteln“.
Da haben Pauline und ich sozusagen grade noch die Kurve bekommen. Der Tipp „reden hilft“ ist grundsätzlich prima. Er passt aber leider bei Paaren oft nicht, die bereits eine lange und vielfältig verletzende Beziehungsgeschichte hinter sich haben und außerdem ein heftiges Paket an Traumafolgen aus ihrer Kindheit mit sich herumtragen.
In einigen der nächsten Blogartikel schreibe ich drüber, wie Traumafolgen in die aktuelle Beziehung hineinwirken und welche Handlungsmöglichkeiten es gibt.
Seetang & Holz im Findorff-Magazin
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